Von Thomas Lähns
Heiraten beim Bockwindmüller
Beelitzer Mühlenverein hat alte Tradition wiederbelebt: Die „Vermehlung“ von jungen und alten Paaren
Beelitz - Was haben Paare in früheren Jahrhunderten gemacht, wenn sie sich nicht vom Pfarrer trauen lassen konnten – oder wollten? Sie sind zum Müller gegangen. „Statt der kirchlichen erhielten
sie die weltliche Fürsprache, es war wohl so etwas, wie eine Arme-Leute-Hochzeit“, erzählt Ulrich Hyna über eine Tradition, die hierzulande kaum noch jemand kennt. Der Beelitzer Bockwindmüller
gibt selbst seit kurzem Paaren seinen Segen, die standesamtlich geheiratet haben oder ihre Silber- oder goldene Hochzeit begehen. Statt Ringe zu tauschen, verreiben sie Mehl in ihren Händen. Und
statt sich vor einem Altar zu küssen, krempeln sie die Ärmel hoch und bringen die Mühlenflügel in Schwung.
Über diesen Brauch habe ihm ein holländischer Windmüller berichtet, erzählt Ulrich Hyna . Er habe sich daraufhin belesen und mit dem Förderverein eine traditionelle
Mühlenhochzeit mit allerlei Ritualen und Symbolen zusammengestellt. Der Name des Zeremoniells – „Vermehlung“ – ist mehr als nur ein Wortspiel. Denn der Begriff Vermählung könnte laut Hyna
tatsächlich davon abstammen. „Es hängt aber auch mit dem Mahl zusammen, dem typisch christlichen Ritual des gemeinsamen Speisens.“ Das wird auch in der Bockwindmühle zelebriert.
In Anlehnung an das letzte Abendmahl tafelt das Hochzeitspaar auf dem Steinboden zusammen mit seinen zehn engsten Freunden. So sitzen sich insgesamt zwölf Leute Auge in Auge gegenüber, während
sie Beelitzer Mühlenbrot und Wein miteinander teilen. „So werden die Freunde an das Paar gebunden, damit sie die beiden künftig in allen Lebenslagen unterstützen“, erläutert der Müller. In seinem
Geleitwort heißt es: „So wie die Mahlsteine gemeinsam arbeiten, geht auch ihr nun gemeinsam ans Werk.“
Im Anschluss folgt die Vermehlung eine Etage tiefer auf dem Absackboden. Dort hält das Paar nach der Fürsprache seine Hände unter das Mehlrohr, aus dem sich frisch gemahlenes Mehl über sie
ergießt. Das überschüssige Mehl wird aufgefangen und in einen kleinen Sack verschnürt – je nach Anlass mit grünem, silbernem oder goldenem Band. Damit soll das Glück bewahrt werden. „Der
Müllergruß ,Glück zu!’ kommt vermutlich von diesem Akt“, so Hyna.
Danach müssen die Eheleute im wahrsten Sinne gemeinsam an einem Strang ziehen: Dadurch wird die Flügelbremse gelöst und die Mühle fängt an zu arbeiten. „Manchmal muss die Mühle auch erst in den
Wind gedreht werden“, erzählt Hyna, dann sei die Arbeit noch schwieriger – aber die Freunde dürfen beim Drehen des großen Bauwerks auf Bock helfen und am Sterz anpacken.
Ob es in vergangenen Jahrhunderten in Beelitz Mühlenhochzeiten gegeben hat, weiß heute niemand mehr, denn Bücher früherer Müller sind nicht überliefert. Seit dem Frühjahr dieses Jahres haben sich
schon fünf Paare hier vermehlen lassen, im September sind die nächsten dran: ein Goldhochzeitspaar aus Berlin. „Die Leute suchen das Außergewöhnliche, und wir wollen damit die Tradition pflegen“,
so Müller Hyna.
Dabei kann die Mühlenhochzeit eine standesamtliche Trauung zwar nicht ersetzen, aber es gebe Mühlen, die beides miteinander vereinbaren. „In Berlin-Britz befindet sich das Standesamt direkt in
der Mühle, dort kommen die Leute mit einem gültigen Trauschein heraus“, weiß der Beelitzer Bockwindmüller zu berichten. Aber auch ohne den könne eine Mühlenhochzeit ergreifend sein. So habe eine
Silberbraut beim letzten Mal eine besonders schöne Rede für ihren Mann gehalten. „Es waren genau die Worte, die ich auch meiner Frau gesagt hätte“, erinnert sich Ulrich
Hyna .